Brügge

Brugge, Turm Belfort

 

Kanal Dijver

 

Goedemorgen aus der Gelsenburg. Na, das war eine Nacht! Dass wir nicht die ersten Insektenjäger hier waren, finden wir an den blutigen Spuren erschlagener Gelsen im Bade­zimmer bestätigt, als wir uns zur Morgen­toilette hierhin begeben.

Jetzt gibt’s erst mal ein gutes Frühstück von den Köstlichkeiten, die wir gestern ein­gekauft haben: Süßes, Tee mit Milch, Orangensaft und gleich sieht die Welt viel besser aus! Draußen lacht die Sonne, es scheint wieder ein heißer Tag zu werden. Also Sonnen­brillen auf, Fotorucksäcke auf die knapp bedeckten Schultern und auf geht’s zum Grote Markt.

Will man zu diesem Platz im Herzen der Stadt, so muss man sich nur am Belfried (niederländisch auch Belfort genannt) orientieren, der weithin zu sehen ist und als Wegweiser dient.

Der Marktplatz von Brügge hat schon vieles gesehen. Im Mittelalter war er Umschlagplatz für Waren aller Art, allen voran wurde hier mit Lebensmitteln und Tuch gehandelt.

In der Mitte des Platzes stehen zwei Denkmäler, das von Jan Breydel und jenes von Pieter de Coninck. Die beiden Herren, die im 13. bzw. 14. Jahrhundert lebten, waren Freiheitskämpfer gegen die Franzosen und sind somit Volkshelden.

Breydel war Fleischer und de Coninck Weber. Gemeinsam führten sie unter anderem am 18. Mai 1302 in der Früh die Aufständischen bei deren blutigem Angriff auf die französische Garnison von Philipp dem Schönen an.

Brugge, Rathaus
IconBrugge, Rathaus

 

Brugge, Rathaus
IconBrugge, Rathaus

 

Dieses als Brügger Frühmette bekannte Massaker führte zur Sporenschlacht am 11. Juli gleichen Jahres, bei der die Franzosen unterlagen und brachte den beiden eben ihren Ruhm als Freiheitskämpfer ein.

Auch machte dieses Ereignis sie zu Nationalhelden, die sich durch die Verteidigung ihrer Heimatstadt ihre Denkmäler auf Brügges prominentestem Platz verdient haben. Und eine schöne Aussicht haben sie außerdem!

Der Grote Markt ist umrahmt von hübschen, sorgfältig restaurierten und kunstvoll verzierten Giebelhäusern sowie anderen imposanten Bauwerken wie der alten Post. Allen voran seien der Provinzialpalast in neugotischem Stil, jenes eben erwähnte interessante Gebäude der alten Post und das Rathaus mit dem alles überragenden Belfried genannt.

Der 83 Meter hohe Turm stammt aus dem 13. Jahrhundert und ist eines der ältesten Beispiele öffentlich bürgerlicher Gebäude der mittelalterlichen Architektur. Seit 1999 wird er als UNESCO-Weltkulturerbe geführt.

Kanal Dijver

 

In der Spitze des Belfrieds befindet sich ein Carillon aus dem 17. Jahrhundert mit über 47 Glocken. Alle Viertelstunden dreht sich die alte Stecktrommel und die Glocken erklingen automatisch, doch es gibt auch einen Spieltisch, über den das Carillon vom Glockenspieler bespielt werden kann.

Die 366 Stufen zur Turmspitze können auch von Touristen erklommen werden, wenn sie gut beisammen sind und den Aufstieg nicht scheuen. Einen Lift gibt es nicht – kein Platz für so ein neumodisches Zeugs in dem altehrwürdigen Gemäuer.

Wir sind sowohl ausgeschlafen als auch neugierig genug und klettern die Stufen hinauf, damit wir oben das Panorama genießen können. Das ist denn auch wirklich sehenswert!

Dicht an dicht schmiegen sich die Giebelhäuschen aneinander, davor ein buntes Band an Markisen und Sonnenschirmen, welche die Gastgärten der Cafés auf dem großen Markt beschatten.

Auch das zuvor beschriebene Glockenspiel können wir bei Auf- und Abstieg ausgiebig aus der Nähe betrachten und zusehen, wie die Glocken und Glöckchen an den gespannten Seilen mittels der Stecktrommel bewegt werden. Interessant!

Nach obenRathaus

Brugge, Rathaus
gotischer Saal

 

Brugge, Rathaus
IconBrugge, Rathaus
gotischer Saal

 

Wieder am Boden widmen wir uns dem politischen Herzen der Stadt und besuchen das Stadhuis, also das Rathaus von Brügge. Es steht nur 200 Meter vom Großen Markt entfernt direkt am Burgplatz, gleich neben der Heilig-Blut-Basilika und dem alten Gerichtshof.

Dass es den Burgplatz und die dazugehörige Burg überhaupt gibt, ist Graf Balduin I. Eisenarm zu verdanken, der hier zum Schutz gegen normannische Angriffe eine große Burg errichten ließ. Seinen Namen hat er übrigens nicht etwa einer eisernen Prothese zu verdanken, sondern seinem Mut und seiner Kühnheit. Doch zurück zum Rathaus.

Im 14. Jahrhundert erbaut, dient es nun seit mehr als 600 Jahren den Oberhäuptern von Brügge als Amtssitz. Besonders sehenswert und weit über die Grenzen der Stadt bekannt ist der große Saal mit kunstvoller Decke und prächtigen Wandmalereien.

Brugge, Rathaus
IconBrugge, Rathaus
gotischer Saal

 

Brugge, Rathaus
gotischer Saal

 

Die Decke ist ein Holzgewölbe mit rot-goldener Verzierung und goldenen Rosetten in den Kreuzrippen. Das Wandbild, ebenfalls in warmen Farbtönen gehalten und mit viel goldener Verzierung, stellt Brügge im sogenannten goldenen Zeitalter dar.

Unter anderem sieht man eine Darstellung des Sieges der Flamen in der Schlacht der Goldenen Sporen. Das war jener Freiheitskampf, an dem ebenfalls die Herren Breydel und de Coninck, welche wir ja schon am großen Markt als steinerne Denkmäler kennengelernt haben, als Anführer ihrer Zünfte beteiligt waren.

Bevor wir uns der nächsten Sehenswürdigkeit gleich nebenan widmen, muss aber auch noch das Äußere des Stadhuis bewundert werden. Die helle Fassade mit Zinnen, Türmchen und vielen bunten Fahnen sieht fast aus, als wäre sie einem Märchenbuch entsprungen.

Nach obenHeilig-Blut-Basilika

Brugge, Heilig-Blut-Basilika

 

Brugge, Heilig-Blut-Basilika

 

Brugge, Heilig-Blut-Basilika

 

Doch nun zur Heilig-Blut-Basilika, dem ältesten sakralen Gebäude der Stadt. Eine Legende besagt, dass der Kreuzritter Dietrich von Elsass, Graf von Flandern, während eines Aufenthalts im Heiligen Land eine kleine Ampulle mit Blutstropfen Christi von seinem Schwager, dem König von Jerusalem erhalten hat. Das war nach dem zweiten Kreuzzug, Mitte des 12. Jahrhunderts.

Wieder daheim in Flandern, ließ er zum Andenken an die Kreuzigung Jesu und zur Verehrung der mitgebrachten Reliquie die Heilig-Blut-Kirche erbauen, die später zur Basilika erhoben wurde.

Die Phiole, die wie eine kleine Kristallkanne mit verschnörkelter Goldfassung aussieht, wird von Historikern als byzantinisch bezeichnet. Vielleicht kam die vermeintliche Reliquie also doch eher aus Konstantinopel nach Brügge?

Darin zu sehen ist ein Baumwollfetzen mit Blutklumpen. Angeblich gesammelt von Josef von Arimathäa, einem Jünger Jesu, als er den Leib Christi für die Beerdigung vorbereitete.

Ursprünglich war es die heutige St. Basilius-Kirche, im 12. Jahrhundert im romanischen Stil errichtet, welche unter vielen verschiedenen Kirchenschätzen auch die Blutstropfen Christi beherbergte.

Brugge, Heilig-Blut-Basilika

 

Ende des 15. Jahrhunderts, so um das Jahr 1480, wurde die heutige Basilius-Kirche dann sozusagen aufgestockt und der romanischen Basilius-Kapelle somit eine gotische oben draufgesetzt. Über eine steile Wendeltreppe kann man zwischen den beiden Gotteshäusern hin und her gehen.

In der Basilius-Kapelle wird das Gefäß mit den Blutstropfen Christi bis heute aufbewahrt und jeden Freitag während einer Messe den Gläubigen gezeigt.

Die Edle Bruderschaft des Heiligen Blutes, gegründet kurz nach 1400, besteht auch heute noch und hat die Aufgabe, die Reliquie zu beschützen, zu bewahren und ihre Verehrung zu fördern. Dazu gehört auch die alljährliche Prozession zu Christi Himmelfahrt, während derer die kostbare Phiole in einem spektakulären Umzug durch Brügges Straßen getragen wird.

An die 2.000 Personen ziehen in mittelalterliche Kostüme gehüllt durch die Stadt und spielen Szenen aus der Bibel sowie aus profaner Geschichte der Stadt. Seit 2009 wird der Heilig-Blut-Umgang von Brügge in der UNESCO Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit geführt. Heuer, 2017, fand die Prozession am 25. Mai statt, also fast ein Monat vor unserem Aufenthalt. Wir werden uns das Datum für eine Wiederkehr merken!

Nach obenAltes Standesamt

Brugge, Standesamt (Oude Civiele)

 

Brugge, Standesamt (Oude Civiele)

 

Brugge, Standesamt (Oude Civiele)

 

Im Anschluss an die Heilig-Blut-Basilika statten wir auch noch der Alten Zivilkanzlei, auch Altes Standesamt genannt, einen Besuch ab. Hierbei handelt es sich um eines der ältesten Renaissancegebäude Flanderns.

Außen ist die Fassade aus Naturstein über und über mit Statuen und Skulpturen verziert. Auch im Inneren ist es ähnlich, jedoch herrscht hier geschnitztes Holz vor. Eine resolute Dame weist uns den Weg durch die wenigen, dafür umso prächtigeren Räume und erklärt uns das eine oder andere Ausstellungs­stück des heutigen Stadtarchivs. Sehenswert!

Als wir das Stadtarchiv wieder verlassen, ist es beinahe erneut Zeit für eine Mittagspause. Wir gehen ein paar Schritte dem Wasser entlang bis wir zum Flohmarkt am Dijver kommen.

Wo sich einst Druiden versammelt haben, ist heute ein Trödelmarkt und sakrale Stille ist geschäftigem Treiben gewichen. Oben am Ufer wird Kunst und Kitsch ausgestellt, begutachtet und verkauft während unten die Boote vorbeiziehen. Auch wir drehen eine Runde mit den Schaulustigen, doch unsere Blicke werden fast magisch von einem alten Backstein­gebäude mit Terrasse auf den Djiver angezogen.

Brugge, Brauerei Bourgogne des Flandres

 

Brugge, Brauerei Bourgogne des Flandres

 

Hier sitzen eine Menge Leute, essen und – wie könnte es anders sein in Belgien – trinken Bier. Genau das Richtige für unsere Mittagspause!

Kurz darauf sitzen wir beschattet von einem Sonnenschirm im Gastgarten der Brauerei Bourgogne des Flandres und bestellen Bier und einen gemischten Wurst-Käseteller und lassen’s uns gut schmecken.

Ein bisschen seltsam ist das Paar, mit dem wir uns den Tisch teilen. Er war schon vorher da und hat unsere Frage, ob wir uns dazusetzen dürfen, bejaht. Sie kommt ein wenig später, ist damit offensichtlich gar nicht einverstanden und wirft mit bitterbösen Blicken um sich. Naja, das müssen sich die beiden untereinander ausmachen, wir genießen jetzt mal in Ruhe.

Das Bourgogne de Flandres wird schon seit 1825 innerhalb der Brügger Stadtmauern gebraut und außerhalb gar schon seit 1765. Es ist rotbraun, süffig und passt hervorragend zu den deftigen Schmankerln, die dazu geboten werden. Sehr fein!

Nach obenJohannishospital

Brugge, Oud Sint-Janshospitaal
IconBrugge, Oud Sint-Janshospitaal
Apotheke

 

Brugge, Oud Sint-Janshospitaal
Apotheke

 

Gestärkt besuchen wir im Anschluss das Johannishospital, welches zu den ältesten und bedeutendsten Werken der Backsteingotik in Belgien zählt.

Was Mitte des 12. Jahrhunderts zwar außerhalb des Stadtzentrums, dafür sehr verkehrsgünstig gelegen als Herberge für Pilger und Arme begann, wurde bereits im 13. Jahrhundert ein Ort der Krankenpflege, die primär einer Bruderschaft von Laien oblag.

Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts wurden angrenzend noch ein Mönchskloster und eine Brauerei dazu gebaut. Spätestens jetzt müsste allen klar sein, dass Bier in Belgien als Medizin gilt!

Drei große, verbundene Krankensäle gab es mittlerweile, ein Franziskaner­innen­kloster, in dem die Schwestern lebten, die einen Großteil der Krankenpflege leisteten und auch einen Friedhof, auf dem später eine gotische Kapelle errichtet wurde. Die Corneliuskapelle kam ebenfalls zu dieser Zeit hinzu.

Die Mönche verließen im 17. Jahrhundert das Kloster und statt den Franziskaner­innen taten nun Augustiner­innen die Krankenpflege. Das ehemalige Mönchskloster wurde zu einer Apotheke, die man auch heute noch besichtigen kann. Und genau das machen wir jetzt.

Brugge, Denkmal Thomas Montanus (Medicus)

 

Brugge, Denkmal Thomas Montanus (Medicus)

 

Das Interieur der Kranken­haus­apotheke ist tatsächlich original aus dem 17. Jahrhundert. Riesige Mörser sind zu sehen, dunkle Gasflaschen, Porzellan­behälter und tönerne Krüge, in welchem heilsame Essenzen aufbewahrt wurden. Da gibt es Laden, beschriftet mit lateinischen Bezeichnungen der Arznei­pflanzen und Feinwaagen, um die genaue Dosierung zu bemessen.

Neuerdings gibt es auch ein Dufterlebnis, das nach dem Rezeptbuch der Schwester-Apothekerin Eleonora Verbeke entwickelt wurde. Für die Nasenbären unter uns ein besonderer Genuss.

Auf unserem Weg durch die Innenhöfe des Sint-Janshospitaals begegnen wir dem Medicus Thomas Montanus – oder zumindest seiner Büste. Wahrscheinlich bei den Jesuiten studiert, wurde er 1645 zum Chefarzt im alten Sint-Janshospitaal in Sint-Winoksbergen. Er war wohl während des Deutsch-Französischen Krieges mit zahllosen Pestkranken konfrontiert, die er auch in seinen Schriften erwähnte.

1656 zog Montanus dann nach Brügge und wurde Arzt im Sint-Jans-Krankenhaus und später auch Krankenpfleger. 1665 gründete er den medizinischen Berufsverband „Confraternitas S. Lucae medici”.

Als 1666 in Brügge eine Pest-Epidemie ausbrach, wurde Medicus Montanus zu einem der Hauptakteure im Kampf gegen die Krankheit. Durch die von ihm angeordneten Aufzeichnungen der Krankheitsentwicklung aller Infizierten war es möglich, die Ausbreitung genau zu überwachen.

Die Berichte über die Merkmale der Brügger Pest veröffentlichte Montanus als Buch mit dem Titel „Qualitas Loimodea sive pestis Brugana anni MDCLXVI”.

Nachdem wir nun also Bescheid wissen über den Herrn Medicus, widmen wir uns der Liebfrauenkirche und ihren Kunstschätzen, die gleich gegenüber zu finden sind.

Nach obenLiebfrauenkirche

Brugge, Liebfrauenkirche
IconBrugge, Liebfrauenkirche

 

Brugge, Liebfrauenkirche

 

Etwas mehr als 115 Meter ist der Kirchturm aus Backstein hoch und weithin sichtbar in der Stadt. Gemeinsam mit dem Querhaus und dem Chor kam der große Turm erst später hinzu, denn zu Baubeginn gab es erst einmal nur ein Langhaus mit 3 Kirchenschiffen und zwei zarte Treppentürme. 1480, nach der Fertigstellung von Seitenschiffen, Sakristei und Kapellen, waren die Bauarbeiten schlussendlich beendet.

Heute ist die Liebfrauenkirche Heimat vieler berühmter und beein­druckender Kunstschätze. Das wohl bekannteste dürfte die Madonna mit Kind sein, eine unsignierte Marmorplastik, die im 19. Jahrhundert anhand einer brieflichen Erwähnung Michelangelo zugeschrieben wurde.

Auch die Sarkophage von Karl dem Kühnen sowie seiner Tochter Maria von Burgund, beide geziert von lebensgroßen Grabmalfiguren aus Bronze, sind hier zu finden sowie darüber das Passionstriptychon von Bernard van Orley, dem einstigen Hofmaler Margarethas von Österreich.

Brugge, Oud Sint-Janshospitaal

 

Brugge, Oud Sint-Janshospitaal

 

Nach soviel sakraler Kunst verlangt es nun erneut nach weltlichen Genüssen. Die Brauerei De Halve Maan ist gleich ums Eck – wie eigentlich eh alles hier in der Brügger Innenstadt – und wir lassen den heißen Nachmittag bei einem kühlen Blonden im schattigen Brauerei-Garten ausklingen. Zischt richtig schön!

Über die Mariabrug, die niedrige, eigentlich unscheinbare Brücke mit reizender Aussicht auf beiden Seiten, vorbei am Praalboog Pro Patria, einem Triumphbogen gewidmet dem Gedenken gefallener Soldaten, geht es über den Burgplatz langsam wieder nach Hause.

Die Sonne wirft ein mildes Abendlicht auf die mittelalterlichen Häuser, die sich in den Kanälen spiegeln. Wir sind müde von einem langen, heißen Tag, vollgepackt mit Geschichte und Sehenswürdigkeiten.

Zu Hause noch die Kameras versorgen und ein paar Stichworte für den Reisebericht und schon fallen wir in unsere Betten. Heute bei fest verschlossenen Fenstern in der frohen Hoffnung, dass uns diese Nacht keine Blutsauger stören werden. Gute Nacht!

zu den FAQs und den Kommentaren
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